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Nad Sylvan (Agents of Mercy) - wie man in Schweden aus großen Bechern trinkt und was das mit Progrock zu tun hat

Nad Sylvan (Agents of Mercy) - wie man in Schweden aus großen Bechern trinkt und was das mit Progrock zu tun hat

Wie es scheint, hat der Progrock seine besten Zeiten längst hinter sich. Das ist umso verwunderlicher, als es gerade dort, also jenseits des Mainstream, noch jede Menge großartige Musiker gibt, die die musikalische Genialität aus großen Bechern getrunken haben müssen. Einer davon ist Nad Sylvan, der schwedische Sänger von AGENTS OF MERCY. Vor seiner Show auf dem Progmeeting 66 in Verviers/Belgien am 11.11.2012 hatten wir bei sonnigem Wetter Gelegenheit zu einen netten Plausch vor dem "Spirit of 66". Das brachte mich auf die Idee, ihm ein paar weitere Fragen zu stellen, die für Euch Progfans da draussen interessant sein könnten und die er hier im übrigen sehr offen und detailliert beantwortet. 

Hey Nad, wie geh's Dir? 

„Sehr gut, danke! Ich bereite mich auf Weihnachten vor und bin hier seit einer Woche total eingeschneit. Ich schaufle Schnee wie ein Wahnsinniger, aber das hält mich fit und stark!“

Du gehst demnächst mit Steve Hackett auf Tour, um Revisited II zu präsentieren. Wie fühlt sich das an oder was bedeutet es für Dich, mit einer solchen Legende zusammen zu arbeiten? 

Nad Sylvan

„Nun, es bedeutet eigentlich alles für mich. Sozusagen den Soundtrack meines Lebens zu singen ist mehr als nur ein Traum, der wahr wird. Jeder, der mich kennt, weiss, dass ich ein "Genesisverrückter" bin. Es ist eine große Ehre für mich und ich weiß, dass sich auch Steve für mich darüber freut. Alles ist also wunderbar.

Die Tour startet übrigens Ende März 2013 in Florida. Ich gehe also zu hause die Songs für die Tour durch, einen nach dem anderen, Note für Note, um alles gut abzuspeichern und sicherzustellen, dass alles optimal läuft. Es ist eine Menge Zeug, dass ich durcharbeiten muss. Einige sehr hohe Töne sind dabei, sodass ich auch an meiner Technik arbeiten muss.“ 

Vor zwei bis drei Jahren hattest Du ein paar Probleme mit Deiner Stimme. Wie ich beim Progmeeting 66 feststellen konnte, musst Du in der Vergangenheit hart an Dir gearbeitet haben, denn die Probleme sind wie weg geblasen. Großartige Performance! Steve Hackett hat also gute Gründe gehabt, Dich in die Band zu holen. Kannst Du uns ein bisschen was darüber erzählen?

„Agents of Mercy hat auch in 2009 und 2010 schon mal im "Spirit of 66" gespielt, und ich weiß nicht mehr genau, welcher der beiden Termine es war, aber ich hatte eine Halsinfektion. Das Ganze war ziemlich anstrengend für mich. Es ist wirklich der größte Albtraum für einen Sänger, den man sich vorstellen kann, nicht wirklich gut singen zu können.  Wie auch immer. Danke für Dein Kompliment. In den letzten zwei Jahren habe ich mich als Sänger, wie ich meine, sehr gut entwickelt. Es ist also einfach etwas, das hinter mir liegt. Ich fühle mich so leicht auf der Bühne und das befördert natürlich die komplette Performance.“ 

Nad Sylvan

„Ja, also Steve Hackett hat mich vor einer Weile gechecked. Anschließend wurde ich im April dieses Jahres von seinem Tourmanager Brian Coles kontaktiert. Und er war der Meinung, dass ich der Richtige für diesen Job bin, sodass er mich für ein paar Vocaltests nach London in sein Studio eingeflogen hat. Und noch am gleichen Tag hat er mir den Job angeboten.“

Du bist mit zwei Bands unterwegs, vielleicht auch noch mit irgendwelchen Soloaktivitäten am Start. Irgendwelche "logistischen Probleme"? 

„Zurzeit bin ich überhaupt nicht auf Tour. Wir hatten in diesem Jahr lediglich drei Shows mit Agents of Mercy. Und im Moment bereite ich mich auf die Shows mit Steve Hackett und seiner Band vor. Ausserdem schreibe ich gerade an neuen Songs für die vierte CD von Agents of Mercy. Ein Soloprojekt ist noch nicht geplant, aber wer weiß, auch das könnte irgendwann passieren.“

Im Progrock sind eine ganze Menge Musikstile vereint. Wie würdest Du den Stil von Agents of Mercy beschreiben? 

„Wenn ich unsere Musik beschreiben sollte, würde ich sagen: Classic Prog mit ein paar modernen "Wendungen". Auf eine bestimme Art ein bisschen wie die "Flower Kings", aber ein bisschen "düsterer und schwerer". Manchmal sogar ein bisschen "böse".“

Nad Sylvan

In der Prockrockszene ist das Verhältnis zwischen den Bands und ihren Fans sehr eng, persönlich, fast ein bisschen familiär. Die Verkaufsstrukturen sind völlig anders als im Mainstream. Glaubst Du, das das helfen kann, die Progrockszene am Leben zu halten? 

„Natürlich, und ich empfinde den größten Respekt und Liebe sowohl für die Musik als auch für die Fans, und insofern in gewisser Weise natürlich auch für mich selbst. Und da ist diese  Gruppe von Fans, die um alles in der Welt keine Show von Agents of Mercy verpassen will. Sie sind Freunde geworden. Und ich liebe sie sehr. Und ich liebe es, ihnen eine gute Show zu bieten.“

Einige Leute behaupten, Du könntest auch sehr exzentrisch sein. Bis Du das? 

„Ja bin ich.“

Lass uns ein bisschen über die aktuelle CD von Agents of Mercy "The Black Forest" reden. Großartiges Zeug übrigens! Wie läuft es mit den Verkaufszahlen. Seid Ihr zufrieden? 

„Danke  Dir. Ich weiß ehrlich keine Einzelheiten, aber ich glaube es könnte besser laufen. Es dauert seine Zeit, bis Du Dir eine Art Renommee, eine Repertoire aufgebaut und einen Namen gemacht hast. Die bisherigen 3 Alben wurden auf Roine's Label "Foxtrott Records" veröffentlicht. Und wie Du Dir vorstellen kannst, ist das Budget wesentlich kleiner als bei einem großen Label auf den Tisch des Hauses kommt. Und so sind wir in diesen Zeiten auf die Fans und das Internet als Promoter angewiesen. Und auf diesem Level und unter Berücksichtigung dieser Tatsachen läuft es ziemlich gut.“

Nad Sylvan

O.k., lass uns ein bisschen über einige Deiner Kollegen sprechen. Walle ist noch ein ziemlich junger Schlagzeuger, zumindest sieht er ziemlich jung aus. Ich war überrascht, als ich gesehen und gehört habe, wie routiniert und groovy er sein Instrument spielt. Hat sich angehört, als wenn er sein Instrument schon seit 40 Jahren bedienen würde. 

„Wir haben ihn für unser zweites Album "Dramarama" (2010) geholt, nachdem wir ihn auf Lalle Larson's zweitem Album "Weavewolrd" gehört haben. Zu dieser Zeit war er erst 24, aber sehr vielversprechend. Er wird immer besser und beständiger und ist 100 % zuverlässig. Und ich verstehe, was Du mit "40 Jahren" meinst. Seine Art zu spielen ist im besten Sinne sehr klassisch, sein Sound ist klassisch und er sieht auch "klassisch" aus.“

Was Euren Keyboarder angeht, haben wir einen ähnlichen Fall. Als ich ihn auf dem Progmeeting 66 in Verviers gesehen habe, hat es so ausgesehen, als würde er seit seinem 6. Lebensjahr 24 Stunden am Tag nichts anderes tun als Keyboard zu spielen. Und natürlich hat er immer wieder Ausflüge in den klassischen Bereich gemacht. Bitte erzähl uns ein bisschen was über ihn. 

„Sein Name ist Lalle Larsson. Er ist der Sohn einer Artistenfamilie, geboren am 19. Mai 1974,  und er hat in Wien eine klassische Ausbildung gemacht. Er "lebt, atmet und isst Musik". Es gibt praktisch nichts, was er nicht spielen kann. Er ist ein sehr herzlicher Mensch und wir haben auf den gemeinsamen Touren und im Hotel schon eine Menge zusammen gelacht und Spass zusammen gehabt. Auch er ist als festes Mitglied in die Band gekommen, nachdem wir letztes Jahr zusammen getourt haben (genau wie Jonas Reingold von "Karmakamic").“

So wie ich das einschätze, gibt es bei Euch vor allem zwei sehr starke kreative Charaktere  (möglicherweise sogar 3). Führt das schon mal zu Problemen untereinander? 

Nad Sylvan

„Wir sind alle sehr kreativ. Roine ist ohne Frage die treibende Kraft innerhalb der Band. Und er ist auch mit Abstand der kreativste unter uns. Bisher haben nur Roine und ich die Songs für die Band geschrieben. Aber ich hoffe, dass sich das ändern wird, weil Lalle und Jonas auf ihre Art auch sehr kreative Songwriter sind. Es ist nur so, dass Roine so viel schneller ist als die meisten von uns. Wofür ich locker einen Monat brauche, benötigt er nur zwei Tage.

Und ja, es gab in der Tat ein paar kleinere Probleme mit den Aufnahmen meiner Songs für "The Black Forest". Es ging um die Änderung von Arrangements und das war als würde man mir mein Herz herausreißen. Ich geriet in Panik! Wegen ihrer ausgesprochenen Professionalität geht bei ihnen alle ziemlich schnell - zu schnell für mich. Das kann ein unterstreichendes Detail, eine Bassline oder vielleicht die Art, wie Akkorde hintereinander liegen, sein. Dinge, an denen ich jedenfalls hart gearbeitet habe. Aber manchmal muss man sich anpassen, auch wenn man dabei die eine oder andere Träne verdrückt.“ 

Und wer schreibt bei Euch die Songs? Roine und Du oder letztlich Ihr alle zusammen?

„Roine kommt meistens mit einer großen Menge an Songs an. Ich habe dann vielleicht mal gerade 5 - 7. Dann suchen wir die Songs zusammen aus und versuchen die Dinge zusammen zu fügen. Wir probieren aus, was funktioniert, sowohl textlich als auch musikalisch. Wir schreiben die Songs also nicht zusammen. Was wir manchmal tun ist, das wir sie zusammen arrangieren.

Generell ist es so, dass der "Notenschreiber" eine sehr klare Vorstellung davon hat, in welche Richtung es mit dem jeweiligen Song gehen soll. Sozusagen in der Hoffnung, dass die anderen Bandmitglieder das genauso sehen.“ 

Nad Sylvan

Hast Du aktuell irgendwelche Pläne für ein Soloprojekt?

„Nein, keine Pläne, aber ist mir nicht fremd. Alles ist nur eine Frage der Motivation und des Timings. Wer Solomaterial von mir hören will, kann das aber auf Spotify tun. Man findet da mein Album "Sylvanite" aus 2003 und es läuft eigentlich ganz gut.“ 

Hey Nad, vielen Dank für Deine Zeit!

“Sehr gerne!”

Interview: Lothar Epe
Fotos: Jutta Fassbinder
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